Donnerstag, 20. März 2014

Thaddäus´ Selbstmord



Ich möchte gleich am Anfang sagen, wenn du eine Antwort erwartest, erwarte nicht zu viel. Es wird nämlich keine geben.



 2005 war ich im letzten Jahr meines Animationsstudiums Praktikant in den Nickelodeon Studios. Natürlich wurde ich nicht bezahlt, die meisten Praktikannten wurden nicht bezahlt, aber man bekam dennoch ein Bisschen was zu gesteckt. Für Erwachsene mag es nicht sonderlich viel sein, aber die meisten Kinder würden verrückt damit werden.

Da ich direkt mit den Editoren und Trickzeichnern gearbeitet hatte, konnte ich neue Folgen Tage vor der Erstausstrahlung sehen. Ich werde weiter erzählen, ohne zu viele unnötige Einzelheiten zu erwähnen. Kurz zuvor haben sie gerade den Spongebob Schwammkopf Film fertig gestellt und das ganze Team hatte keine wirklich neuen Ideen mehr, was den Start der neuen Staffel hinauszögerte. Aber die Verschiebung hatte noch andere Gründe. Es gab ein Problem mit Folge vier, das Jeden mehrere Monate gekostet hatte.

Ich und zwei andere Praktikanten waren für den finalen Cut mit einem Haupttrickzeichner und -Editor in einem Schneideraum. Wir haben eine Kopie mit dem Namen „Die Angst vor einem Krabbenburger“ bekommen und versammelten uns um den Bildschirm um sie anzuschauen. Nun, da es oft noch nicht zu Ende produziert wurde, gaben die Trickzeichner den unfertigen Folgen immer irgendwelche Namen, wie ein Insidergag, mit falschen, teils sexuellen Titeln, wie zum Beispiel „Wie Sex nicht funktioniert“ anstelle von dem richtigen Titel „Rock-a-bye Bivalve“ („Eltern werden ist nicht schwer…“), als SpongeBob mit Patrick die Seemuschel adoptierten. Nicht wirklich lustiges, aber immer für ein Kichern gut. Als wir dann den Titel „Thaddäus‘ Selbstmord“ lasen, dachten wir, es sei nicht mehr gewesen als ein morbider Witz.

Einer der Praktikanten konnte gerade noch ein leises Kichern hervorbringen. Die glückliche Musik ertönte wie gewöhnlich. Die Geschichte begann mit Thaddäus, der wie so oft das Klarinettenspiel übte, wie üblich ein paar falsch treffende Töne. Wir hören, wie Spongebob draußen lacht und Thaddäus stoppt um ihn anzubrüllen, ruhig zu sein, da er diese Nacht ein Konzert hätte und üben musste. Der Szenenwechsel mit den Blubberblasen kommt und wir sehen das Ende von Thaddäus Konzert. Das ist der Teil, als es anfing, merkwürdig zu werden.

Als er spielt, haben sich mehrere Frames wiederholt, aber nicht der Ton (zu diesem Zeitpunkt ist der Ton schon mit der Animation synchronisiert, also war es nicht üblich), aber als er aufhört zu spielen, hört der Ton auf, als hätte es die Aussetzer nicht gegeben. Ein schwaches Murmeln macht im Publikum die Runde, bevor sie anfangen, Thaddäus auszubuhen. Aber nicht normales Buhen, wie es in Zeichentrickserien üblich ist, man konnte wirklich Boshaftigkeit darin hören. Es wird auf das Publikum geschnitten, mit Spongebob im Mittelpunkt, und er buht ihn ebenfalls aus, sehr ungewöhnlich für ihn. Aber das ist nicht der komischste Teil. Was sehr auffiel war die Tatsache, dass alle extrem realistische Augen hatten. Sehr detailliert. Keine Abbildungen von echten Augen, aber sehr realer als normales CGI. Die Pupillen waren rot. Wir haben uns angeschaut, offensichtlich verwirrt, aber da wir nicht die Autoren waren, hinterfragten wir nicht, ob es für Kinder geeignet sei.

Es wird auf Thaddäus geschnitten, der an der Kante seines Bettes sitzt. Er sieht sehr einsam aus. Der Blick aus seinem Bullaugenfenster zeigt, dass es Nacht ist, also muss es nur kurz nach dem Konzert gewesen sein. Beunruhigend war, dass es ab hier keinen Ton mehr gibt. Wirklich keinen einzigen Ton. Nicht mal die großen Lautsprecher geben irgendetwas wieder. Als wären sie ausgeschaltet, aber sie zeigten an, dass sie noch einwandfrei arbeiten. Thaddäus saß nur da und blinzelte. Die Stille hielt etwa 30 Sekunden an, dann begann er, leise zu schluchzen. Er versteckt sein Gesicht in seinen Händen (oder Tentakeln), und weint für etwa eine Minute leise vor sich hin, während im Hintergrund nur ein sehr schwach zu hörendes Geräusch ertönt, die wie eine leise Briese im Wald klingt.

Es wird langsam auf sein Gesicht gezoomt. Mit langsam meine ich, dass man es nur bemerkt, wenn man sich die Shots einzeln anschaut, die alle 10 Sekunden dauern. Sein Schluchzen wird lauter und es füllt sich mit Hass und Wut. Der Bildschirm ruckelt dann ein bisschen, als ob er aufbrechen würde, dann normalisiert er sich wieder. Das grausame dabei war der Ton von Thaddäus‘ Schluchzen, welcher sehr real klang, als wäre der Ton nicht aus den Lautsprechern gekommen. Es klang, als würde man es direkt hören. Auch wenn die Studios immer eine gute Tonqualität haben wollen kaufen sie kein Equipment, um so eine gute Qualität zu bekommen.

Neben dem Säuseln des Windes und des Schluchzen konnte man sehr schwach etwas hören, das wie ein Lachen klang. Es kam in seltsamen Abständen und es hielt nie länger als eine Sekunde, was es uns fast unmöglich machte, den Zeitpunkt genau festzulegen (wir hatten die Folge zweimal geschaut, deshalb entschuldigt mich bitte, wenn ein paar Dinge komisch klingen, aber ich hatte genug Zeit, darüber nachzudenken). Nach 30 Sekunden wurde der Bildschirm unscharf und es ruckelte heftig, als etwas auf dem Bildschirm aufblitzte, als ob einzelne Frames ausgetauscht wurden.

Der Haupteditor unterbrach die Serie und spulte Frame für Frame zurück. Was wir sahen, war grauenhaft. Es war das Foto eines toten Kindes. Es konnte nicht älter als 6 Jahre gewesen sein. Das Gesicht war entstellt und blutig, ein Auge hing aus seinem nach oben gewandten Gesicht heraus. Es lag auf einem Bürgersteig, wahrscheinlich an einer Straße.

Verstörend war, dass man den Schatten des Fotografen sehen konnte. Dort waren keine polizeilichen Absperrungen, sichergestellte Beweismaterialien oder Markierungen und der Winkel sah für ein polizeiliches Foto ungewöhnlich aus. Der Fotograf selbst musste für den Tod des Kindes verantwortlich gewesen sein. Wir waren natürlich geschockt, aber spielten immer noch mit dem Gedanken, dass es nur ein sehr kranker Scherz war.

Der Bildschirm zeigte wieder Thaddäus, der immer noch schluchzte, lauter als zuvor. Plötzlich floss etwas aus seinen Augen heraus, was sich als Blut herausstellte. Der Wind klang jetzt, als würde ein Sturm durch die Wälder pressen, man hörte auch das Durchbrechen von Ästen. Das Lachen, was in einer tiefen Baritonstimme war, hielt nun länger an und kam öfter. Nach ca. 20 Sekunden ruckelte der Bildschirm wieder und zeigte ein einziges Foto.

Der Editor zögerte, zurück  zu spulen. Wir alle wollten es nicht, aber wir wussten, dass wir es tun mussten. Dieses Mal sah es so aus, als sein ein Mädchen auf dem Foto, kaum älter als das Kind zuvor. Sie lag auf ihrem Bauch, ihre Haarspange lag in einer Blutlache neben ihr. Ihr linkes Auge hing ebenfalls heraus und sie war bis auf ihre Unterhose nackt. Ihre Eingeweide lagen auf ihrem Rücken, in dem ebenfalls ein grausamer Einschnitt war. Ihr Körper lag ebenfalls auf einem Bürgersteig und der Schatten des Fotografen war erkennbar, fast die gleiche Größe wie zuvor. Ich musste mich zusammenreisen, mich nicht zu übergeben, und eine Praktikantin, die einzige Weibliche, rannte raus. Die Folge ging weiter.

Ungefähr fünf Sekunden nach dem zweiten Foto wurde Thaddäus still. Jeder Ton war tot, wie am Anfang der Szene. Er legte seine Tentakel nach unten und seine Augen waren erneut hyperrealistisch, wie die der anderen am Anfang der Episode. Sie bluteten und pulsierten. Er starrte direkt auf den Bildschirm, als würde er die Zuschauer anschauen. Nach etwa 10 Sekunden, begann er wieder zu schluchzen, diesmal ohne seine Augen zu verstecken. Der Ton war schnerzend laut und sein grausames Schluchzen wurde mit Schreien vermischt.

Tränen und Blut tropften wie schwere Masse an seinem Gesicht entlang. Der Ton des Windes kam wieder, wie auch die tief lachende Stimme, und diesmal hielt das Foto des Kindes für 5 Frames, ohne Geräusche.

Der Editor schaffte es, beim vierten Frame zu stoppen und spulte langsam zurück. Diesmal war es ein Junge, etwa im selben Alter, doch diesmal war es anders. Seine Eingeweide wurden von einer großen Hand von seinem aufgeschnittenen Bauch herausgezogen, sein rechtes Auge hing heraus, Blut tropfte herab. Der Editor ging weiter. Es war schwer zu glauben, aber der nächste Frame war anders, aber wir konnten nicht sagen, was es war. Er ging weiter zum nächsten und es war genau dasselbe. Er ging zum ersten Frame zurück und spielte die Frames schneller. Ich konnte mich nicht mehr halten. Ich kotzte auf den Boden und der Editor keuchte. Die 5 Frames waren keine einzelnen Fotos, es schien, als seien sie Frames eines Videos. Wir sahen, wie die Hand langsam die Eingeweide rauszog, wir sahen, wie das heraushängende Auge ihn dabei beobachtete, und wir sahen in zwei Frames, wie das Kind blinzelte.

Der Tontechniker befahl uns, das Video sofort zu stoppen. Er musste den Erfinder von Spongebob anrufen, um es sich anzusehen. Mr. Hillenburg kam nach etwa einer Viertelstunde an. Er war verwirrt, weswegen er nach unten gerufen wurde, woraufhin der Editor die Folge fortsetzte. Wieder wurden die wenigen Frames gezeigt, jeder Schrei und jeder Ton stoppten wieder. Thaddäus starrte die Zuschauer direkt an in einer Nahaufnahme seines Gesichts für etwa 3 Sekunden. Es wurde schnell rausgezoomt und die tiefe Stimme sagte: "TU ES!", woraufhin wir in Thaddäus Hand ein Gewehr sahen. Er stecke es sofort in seinen Mund und betätigte den Abzug. Realistisches Blut und Gehirnfetzen klatschten an die Wand und auf sein Bett hinter ihm, während er nach hinten fiel. Die letzten 5 Sekunden dieser Folge zeigten seinen Körper im Bett, jedenfalls was noch von seinem Körper übrig war, ein Auge heraushängend, das andere Auge auf dem Boden liegend, ihn anblinzelnd. Das war das Ende dieser Folge.

Natürlich war Mr. Hillenburg wütend und wollte sofort wissen, was überhaupt vor sich ging. Die meisten Leute hatten den Raum zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen. Es waren nur noch wenige paar Leute da, die es sich erneut angesehen hatten. Es ein zweites Mal zu sehen brachte nur, dass es sich fester in mein Gehirn brannte und ich Albträume davon bekam. Es tut mir leid, aber ich bin geblieben.

Die einzige Theorie, die wir hatten, war, dass die Datei von einem Außenstehenden bearbeitet wurde. Der technische Direktor wurde beauftragt, es zu untersuchen, wann es in etwa geändert wurde. Die Analyse ergab, dass das neue Material über das Alte geschnitten wurde. Die Zeitmarke zeigte, dass es 24 Sekunden geändert worden musste, bevor wir es sahen. Alle Materialien wurden überprüft, ob die Zeitmarke womöglich gefälscht war, aber es ergab, dass alles seine Richtigkeit hatte. Wir wissen nicht, was geschehen war. Bis heute weiß es niemand.


Es wurde eine Untersuchung bezüglich der gezeigten Fotos gemacht, aber sie brachte nichts. Kein Kind wurde identifiziert und man fand nichts über die Bilder heraus, weder den Ursprung noch wann sie gemacht wurden. Ich hatte zuvor nie an ungeklärte Phänomene geglaubt, aber diesmal habe ich es selbst miterlebt und wenn ich mal etwas nicht sofort beweisen kann, werde ich erst zweimal darüber nachdenken, bevor ich sage, dass es nur Quatsch ist.

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